Pakistan 2023

Am Sonntag 24.9.23 fliegen wir nach Doha, wo es nach einem mitternächtlichen Zwischenstop weiter nach Karachi geht. Wir freuen uns riesig auf neue Erfahrungen in einem Land, das für uns ein komplett weisser Fleck auf der Landkarte ist.

In drei Wochen fahren wir zunächst von Karachi das Indus-Tal hinauf, bevor wir dessen nördlichen Teil zwischen Sukkur und Islamabad mit einem Flug abkürzen. Von Islamabad aus fahren wir dann mehr oder weniger auf dem Karakoram-Highway in die Nähe der chinesischen Grenze. Rund eine Woche verbringen wir im Berggebiet von Gilgit-Baltistan und fliegen danach von Skardu wieder nach Islamabad. Von dort aus fahren wir nach Multan und Bahawalpur und beenden unsere Reise in Lahore.

 

Montag, 25.9.2023: Karachi


Frühmorgens landet unser Flugzeug nach einem kurzen Nachtflug von Doha im dichten Morgendunst. In 10’ ist die Passkontrolle passiert, das Gepäck ist bereits da, unser Führer ebenfalls und kurz danach haben wir auch schon Geld gewechselt. Und obwohl in dieser Riesen-Stadt rund 20 Mio. Menschen leben, hält sich auch der Verkehr einigermassen in Grenzen. Das Hotelzimmer ist ebenfalls bereit und ein schönes Frühstücksbuffet steht bereit. Das ist alles ziemlich anders, als wir erwartet hatten.

Wir ruhen uns noch etwas im Hotelzimmer aus und starten dann zur Erkundungstour in der Stadt. Die St. Patricks Church wäre sicher schön, nur leider ist sie heute für Besucher geschlossen. Auch das Mausoleum des Staatsgründers Muhammad Ali Jinnah wäre sicher interessant, nur leider ist es heute für Besucher geschlossen. Besser ergeht es uns dann erst auf dem Empress Markt. Dieser ist (auch für Ungläubige) offen, denn Esswaren muss man ja auch am Montag einkaufen können. Frauen sieht man nicht viele, der Männeranteil in der Öffentlichkeit ist auffallend gross. Diese strengen sich offensichtlich gewaltig an, sodass sie sich dann auch überall zum Ausruhen hinsetzen oder hinlegen müssen.

Der Schrein des Sufi Abdullah Shah Gazi ist ein eher unscheinbares Gebäude, im Innern herrscht aber geschäftiges Treiben der Gläubigen, die hier mit all ihren Wünschen zum Grabmal des Sufi kommen. Noch viel mehr Betrieb hat es dann an der Clifton Beach, einem langen Sandstrand. Das Vergnügungsangebot kurz vor Sonnenuntergang ist mannigfaltig: Luftgewehr-Schiessen auf kleine Ballone, Kamel- oder Pferdereiten, Tee- und Snackstände, Wahrsager, “Quad”-Fahrten oder ganz einfach das Annetzen der Füsse, bis die Wellen dann doch plötzlich die halbe Kleidung durchnässen. Der dichte Smog, durch den die Sonne nur als eine milchige Scheibe sichtbar ist, erzeugt schon fast eine mystische Stimmung.

Vor dem Rückzug in die Heia geniessen wir noch ein tolles Nachtessen in einem luxuriösen Freiluftrestaurant am Strand und fragen uns dabei, wer von der lokalen Bevölkerung sich so etwas leisten kann.

Dienstag, 26.9.2023: Karachi - Hyderabad


Nach erholsamem Schlaf machen wir uns mittelmässig zeitig auf die Socken. Eine kurze Fahrt bringt uns zu einem Fotostop beim grossen historischen Gräberfeld von Chaukundi an der Peripherie von Karachi und danach zur Schule des Sängers Zafar Kashif. Dieser stammt aus einer offensichtlich vermögenden Familie, die im Immobiliengeschäft reich geworden ist. Schule ist allerdings ein etwas ambitionierter Begriff: in einem kleinen Raum sitzen rund 85 Kinder im Alter von 5 bis 8, wo sie von einer einzigen Lehrerin in Urdu, Englisch und Rechnen unterrichtet werden. Artig schmettern uns die Kleinen einen Willkommensgruss entgegen und lauschen dann aufmerksam dem Sitarkonzert von Hans und einem lokalen Tablaspieler. Der Sänger gibt ebenfalls ein kurzes Lied zum besten und zu guter Letzt singen alle Kinder die pakistanische Nationalhymne (wobei unser Sänger allerdings etwas Mühe mit dem Text hat). Erstes Ziel dieser Schulinitiative ist es, die Kinderarbeit im näheren Umkreis zu reduzieren. Motiviert werden die Eltern der Kinder neben der Ausbildung durch gratis Essen in der Schule.

Gegen Mittag fahren wir weiter nach Thatta, wo wir bei ziemlich heissen Temperaturen die Makli-Gräber besichtigen. Das riesige Areal umfasst 500’000 bis 1 Mio. Gräber und ist seit langer Zeit ein Unesco Weltkulturgut. Die frühesten Gräber stammen aus dem 15. Jahrhundert. Verschiedene imposante Mausoleen von Herrschern primär aus der Mogul-Zeit sind sicher die Höhepunkte des Besuchs. Das Angebot des Schlangenbeschwörers, sein Tierchen eine Weile zu liebkosen, lehne ich dankend ab und spende ihm dafür einen kleinen Batzen. Als einzige Touristen geniessen wir eine Vorzugsbehandlung mit Empfang im VIP-Raum und einer Rundtour mithilfe eines Elektrofahrzeugs. Beides ist bei Temperaturen um 40°C sehr willkommen.

Wenige Autominuten entfernt liegt eine zauberhafte Moschee, die durch den Mogul-König Shah Jahan um 1645 erbaut wurde. Die blauen Kacheln und die gut erhaltenen Kalligrafien sind äusserst imposant. Die Moschee umfasst auch eine Koranschule, in der rund 200 Kinder - natürlich getrennt nach Geschlechtern - unterrichtet werden. Laut und meist im Chor rezitieren sie Koranverse in Arabisch. Es ist offensichtlich, dass sie dadurch in keiner Art und Weise lernen, den Koran zu verstehen, weshalb ich doch ein etwas mulmiges Gefühl mitnehme.

Auf dem National Highway 5 fahren wir dann weiter nach Hyderabad, ab und zu unterbrochen durch Chai- und Fotostops. Wir passieren Zigeunerhütten am Strassenrand, überholen unzählige Eselkarren und staunen ob den mit riesigen Heuballen beladenen und farbenfroh geschmückten LKW’s. Bei Sonnenuntergang erreichen wir Hyderabad, wo wir noch einen kleinen Umweg fahren müssen, weil die Brücke für unseren Minibus zuwenig hoch ist. Das dadurch notwendige Rückfahrmanöver meistert unser Fahrer mirakulös.

Mittwoch, 27.9.2023: Hyderabad – Sehwan Sharif


Bereits kurz nach dem Frühstück bekommen wir es mit der Polizei zu tun. Allerdings werden wir weder gebüsst noch verhaftet, sondern ganz einfach begleitet. Auf unserer heutigen Fahrt stehen wir nämlich unter Polizeischutz, und dies erst noch auf Staatskosten. Man will nämlich sicher gehen, dass wir wohlbehalten am nächsten Etappenziel ankommen, alles andere wäre wohl imagemässig schlecht. Das Prozedere gestaltet sich wie ein Staffellauf: Immer, wenn wir eine Distrikts- oder Gemeindegrenze überqueren, klinkt sich die alte Eskorte bestehend aus 2-4 bewaffneten Polizisten aus und eine neue Mannschaft übernimmt. So werden wir im Laufe des Tages von mindestens 10 verschiedenen Polizeifahrzeugen begleitet, notabene mit Sirenengeheul. Selbst wenn wir zu Fuss unterwegs sind, sind 1-2 Freunde mit Kalaschnikows bei uns. Sie sind alle extrem freundlich und selbstverständlich wollen auch sie Selfies mit uns machen, so wie alle anderen Leute auch.

Nach rund 2 Stunden Fahrt treffen wir in Bhit Shah ein, wo wir nach dem obligaten Chai den Schrein des Shah Abdul Latif Bhittai besuchen. Vor dem heiligen Grabmal sitzt eine Gruppe Musiker, die die Zuhörer bereits am Vormittag in eine mystische Stimmung versetzt.

Am Mittag essen wir in einer “Autobahnraststätte”: Raum eisig gekühlt, das Essen frisch gekocht. Es schmeckt wunderbar und auch die erkältungsreife Raumtemperatur ist bei den schweisstreibenden Aussentemperaturen eine willkommene Erfrischung.

Gut genährt und frisch gekühlt nehmen wir den Bazar von Hala in Angriff. Zwischen den Einkaufsläden zieht plötzlich ein Leichenzug vorbei und kaum jemand nimmt Notiz davon, wie wenn das das Normalste auf der Welt wäre. Selbstverständlich lädt der Bazar zum Shopping ein und so wird munter ausgesucht, doch nicht gekauft, wieder augesucht und dann gefeilscht, was das Zeug hält. Der Begleitpolizist findet es lustig, wahrscheinlich bekommt er anschliessend genauso wie der Führer eine Kommission.

Wir möchten noch eine für diese Gegend typische Stoff-Manufaktur anschauen, landen aber aufgrund eines Missverständnisses zunächst in einer Töpferwerkstatt. Das Töpfern ist same-same wie im Rest der Welt, weshalb wir schnell wieder draussen sind. Nach kurzer Fahrt finden wir dann unsere Blockprint-Produktion doch noch. Mit Stempeln wird ultrapräzise der Stoff bedruckt, meist in mehreren Durchläufen. Die Fertigkeit der Handwerker ist beeindruckend, nur schon ein Millimeter Abweichung würde die Qualität des Endprodukts deutlich verringern.

Dann geht der Polizeistaffettenlauf weiter und nach dem Überqueren des Indus treffen wir im letzten Tageslicht in der Oasenstadt Sehwan Sharif ein, wo wir zwei Nächte bleiben werden. Noch vor dem Nachtessen stürzen wir uns ins Getümmel des wohl bekanntesten Sufi-Schreins von Pakistan, mehr dazu dann aber morgen.

Donnerstag, 28.9.2023: Sehwan Sharif

Der Tag beginnt faul und endet spektakulär!

Nach dem späten Frühstück fahren wir aus dem Dorf hinaus ans Ufer des Indus. Vor einem Jahr war das Land hier weitreichend überschwemmt, die Bewohner mussten ihre Häuser verlassen und in höher gelegenen Regionen mehr schlecht als recht in Zelten wohnen. Viel zu sehen gibt es nicht und am späten Vormittag ist es bereits ziemlich heiss. Wir fahren wieder zurück und besuchen unterwegs wieder einmal eine Schule. Die Kinder sind wie immer schnusig und wie immer ist das Klassenzimmer viel zu klein. Allerdings fällt auch auf, dass von den theoretisch 180 Schülern der Grundstufe “nur” 110 anwesend sind, der Rest ist irgendwo (Kinderarbeit?).

Wir machen eine ausgedehnte Siesta im Hotel und fahren dann rund um’s Dorf zu einem Fort. Unterwegs beobachten wir eine riesige Herde Wasserbüffel, die gerade aus dem Indus steigen und sich frisch gebadet auf unserer Strasse auf den Heimweg machen. Vom Fort aus bietet sich eine schöne Rundsicht auf die Ebene und den Fluss, musikalisch begleitet von einem Sänger, der vor dem kleinen Schrein ein altes Lied zum besten gibt. Langsam schlendern wir durch die engen Gassen ins Dorf hinunter, immer fürsorglich begleitet von 2 Polizisten.

Am heutigen Donnerstag ist der Schrein des Lal Qalandar Shah Baz das Ziel unzähliger Pilger. Wir werden besonders bevorzugt behandelt und kommen über den VIP-Eingang ins Innere, noch bevor der Hauptharst der Gläubigen eintrifft. An vorderster Front macht man für uns Platz und gespannt schauen wir zu, wie die Zeremonie vorbereitet wird, währendem die Pilger in den grossen Innenhof hineinströmen. Ohrenbetäubende Trommelwirbel ertönen und schrille Blasinstrumente erzeugenden einen quietschenden Lärm. Sofort beginnt ein Teil der Menge zu tanzen und zu johlen, die Frauen im Hintergrund werfen ihre wallenden Haare ekstatisch hin und her. Eine gute Stunde dauert dieses Spektakel, während dieser Zeit wechseln sich die Trommler immer wieder ab. Einige sind komplett schweissgebadet, was auch für viele der wippenden, tanzenden, hüpfenden und johlenden Pilger gilt. Während der ganzen Zeit werden auch fleissig Geldscheine durch die Menge nach vorne gereicht, die Musiker kassieren diese dankend. Schlecht scheint das Geschäft nicht zu sein.

Viel zu schnell ist der Spuk wieder vorbei, mit den besten Wünschen des Oberverantwortlichen werden wir in die Nacht hinaus entlassen und bald gibt es auch für unsere Freunde und Helfer die wohlverdiente Nachtruhe.

Freitag, 29.9.2023: Sehwan Sharif – Islamabad


Bei Sonnenaufgang sind wir bereits beim Frühstück und um 07:15 sind wir auf der Piste. Polizeischutz haben wir heute keinen mehr, wahrscheinlich ist diese Abfahrtszeit zu früh für die Hüter von Gesetz und Ordnung. Noch ist die Landschaft ziemlich braun und trocken, später wird sie immer grüner. Kamele lösen die Wasserbüffel als Arbeitstiere ab und die Qualität der Häuser wird auch eher besser. Weite Flächen stehen nach den letztjährigen Überschwemmungen weiterhin unter Wasser. Die Sicht wird zunehmend getrübt durch eine Rauchschicht, die Feuerungsmethode der vielen Ziegelbrennereien entspricht nicht unbedingt den neusten Nachhaltigkeitsstandards.

Um 10:00 erreichen wir Mohenjo-Daro, eine riesige antike Ruinenstadt aus der Zeit von 2500 v. Chr. Es ist ziemlich toasty, schliesslich sind wir auch nur noch etwa 100km weg von Jacocabad, der heissesten Stadt der Welt. Das Ruinenfeld lässt erahnen, wie gross und bedeutend diese Stadt zur Zeit der 4 Hochkulturen gewesen sein muss. Aber Ruinen bleiben halt Ruinen und das Museum ist zwar nett, aber aus den Socken haut es uns auch nicht. So ziehen wir uns schon bald ins Restaurant zurück, wo wir vorzüglich gefüttert werden.

Die Fahrt nach Sukkur verläuft relativ ereignislos und so sind wir ziemlich zeitig an unserem heutigen Zwischenziel. Zum Zeitvertreib unternehmen wir eine kurze, lärmige Bootsfahrt, um Indus-Delphine zu spotten. In der Ferne erahnen wir in den Bäumen ein paar Fledermaus-Rücken, aber insgesamt ist der Ausflug kein besonderes Highlight. Lediglich der kurzfristig notwendige Halt für das Nachtanken eines halben Liters Benzin belebt die Stimmung etwas. Nach dem Warten in einem Hotelrestaurant üben wir uns am Flugplatz weiter im Warten. Zur vorgesehenen Abflugzeit steht der Flieger nämlich immer noch in Islamabad. Das Motto der Stunde ist “Inshallah”. Schliesslich kommt der Kahn dann doch noch und gegen ein Uhr früh sind wir schliesslich im Hotel in Islamabad.

Samstag, 30.9.2023: Islamabad - Naran


Nach der späten Bettruhe gönnen wir uns etwas Extra-Schlaf und brechen dann Richtung Norden auf. Auf einer erstklassigen, dreispurigen Autobahn brettern wir durch eine Gegend, die gegenüber dem Indus-Tal wie aus einer anderen, viel moderneren Welt erscheint. Beim Passieren von Abottabad ergibt sich eine kurze Diskussion mit unserem Guide zum Thema Osama bin Laden. Er ist - wohl zusammen mit vielen Einheimischen - der Auffassung, dass der Bärtige nicht hier gelebt haben kann (weil die Nachbarn nie Security-Guards vor dem fraglichen Haus gesehen hatten). Der Hintergrund dieser Skepsis ist wohl, dass viele Pakistani immer noch nicht verdaut haben, dass das amerikanische Spezialteam unangemeldet seine Aktion auf pakistanischem Territorium durchgeführt hat.

Unsere Fahrt wird mit einer gewissen Regelmässigkeit von Polizeikontrollen unterbrochen, unser Führer nervt sich bei jedem Halt. Weiter nördlich gibt es sogar einen sogenannten Forest Checkpoint, wo die LKW’s überprüft werden, ob sie illegal geschlagenes Holz geladen haben. Je weiter wir nach Norden kommen, wird die Strasse zunehmend schlechter. An vielen Orten rutscht der Hang regelmässig, was zu den vielen Fahrbahnschäden beiträgt. Auch sonst geht es wieder einfacher zu und und her, primitive Zelte am Strassenrand sind eines der Zeichen dafür.

Ungefähr in der Mitte des Naran-Khagan-Tals wechseln viele Wegweiser plötzlich von Urdu auf Chinesisch. Die Chinesen bauen in diesem Tal nämlich ein Wasserkraftwerk mit einer grossen Talsperre, grösstenteils mit eigenen Arbeitern. Selbst wenn in diesem Projekt nur wenige Einheimische Arbeit finden, stösst dieses mehrheitlich auf Zustimmung. Anders als in Belutschistan gibt es hier offensichtlich keine Probleme mit den chinesischen Gastarbeitern. Wenigstens soll der zukünftig produzierte Strom ins pakistanische Netz eingespeist werden. Wie Pakistan die Investitionen zurückzahlen soll, ist dann wieder eine andere Frage.

Am Strassenrand werden gefühlt alle 10m sackweise Baumnüsse verkauft. Zwischendurch werden Kokosnüsse angeboten, das Zielpublikum sind wohl die einheimischen Touristen. Sie kommen in den Sommermonaten in Heerscharen hierher, um der Hitze in den tiefer gelegenen Gebieten zu entfliehen. Jedes Restaurant hat lokal gezüchtete Forellen im Angebot und überall wo ein Bach durchfliesst, stehen Tische und Stühle im Wasser, womit die Gäste von unten Kühlung bekommen. Zu dieser Jahreszeit ist allerdings keine zusätzliche Kühlung notwendig, jedenfalls beträgt die Temperatur bei unserer Ankunft im heutigen Etappenziel Naran nur noch etwa 12°, immerhin ca. 30° weniger als gestern. Auch die Dusche in unserer Unterkunft liefert nur kaltes Wasser, dafür hat es keine Heizung. Ab unter die Bettdecke, gute Nacht!

Sonntag, 1.10.2023: Naran - Karimabad


Heute haben wir eine lange Fahrt vor uns, weshalb bei unserem Aufbruch die Sonnenstrahlen noch nicht ins Tal kommen. Die Strasse ist ganz vernünftig ausgebaut und so kommen wir recht zügig voran. Stetig steigen wir höher, der höchste Punkt des heutigen Tages ist der Babusar-Pass auf 4173 m.ü.M. Wir steigen zwar aus, aber auch ziemlich schnell wieder ein. Ein feiner Graupelschauer begleitet von einem zügigen Wind machen den Aufenthalt im Freien unangenehm. Wegen den schnell aufgezogenen Wolken ist auch die Aussicht nicht besonders toll, die hohen Berge sind mehrheitlich verhüllt. Den Nanga Parbat verpassen wir für’s Erste und später auch den Rakaposhi. A propos hoch: alles unter 7000 Metern sind hier eigentlich nur noch Hügel, noch kleinere sind Baby Hills. Auf dem Weg Richtung Chilas wird das Wetter bald wieder besser und wir geniessen die Fahrt durch die wild zerklüftete Landschaft. Bäche werden gar nicht erst kanalisiert, sie fliessen einfach über die Strasse. An einigen Stellen durchqueren wir Schuttkegel von gewaltigen Steinlawinen, nur noch eine Spur ist aus dem Schutt herausgebaggert worden. Der letzte dieser Murniedergänge war erst gerade vor drei Wochen.

Dann biegen wir auf den Karakorum Highway ein, die neuzeitliche Variante der alten Seidenstrasse. Gebaut wurde die heutige Strasse zwischen 1958 und 1978 unter schwierigsten Bedingungen. Vorher war die Verbindung nur eine schmale Schotterpiste, im Mittelalter war die Seidenstrasse sogar nur ein gefährlicher Trampelpfad, der als Handelsroute zwischen China und Europa diente. Aktuell wird der Karakorum Highway zwischen Chilas und Gilgit etwas höher verlegt, das heutige Trassee wird ab 2030 von einem neuen, riesigen Stausee überflutet werden.

Gefahren wird generell, wie wenn es kein morgen gäbe. Vor allem die Linienbusse liefern sich haarsträubende Überholduelle, wie wenn es um Leben und Tod ginge. Wir passieren unzählige Checkpoints, werden aber kaum einmal angehalten. Nur bei der Abfahrt vom Pass werden unsere Reifen und Bremsen inspiziert. Bei diversen Fahrzeugen auf der Strasse ist dies sicher keine schlechte Sicherheitsmassnahme. Beim Eindunkeln treffen wir schliesslich in Karimabad im Hunza-Tal ein. Nach 11 Stunden sind wir nicht unglücklich, dass das Tagesziel geschafft ist. Obwohl wir auf knapp 2300 m.ü.M. sind die Temperaturen recht angenehm, ausserdem ist unser Hotelzimmer geheizt, was gegenüber gestern schon ein beträchtlicher Fortschritt ist.

Montag, 2.10.2023: Karimabad

Die Herrscher des früheren Hunza-Staats bewohnten 2 Burgen: im Sommer das höher gelegene und grössere Baltit-Fort, im Winter das tiefer gelegene Altit-Fort. Wir machen heute einen Zeitraffer und besuchen beide Festungen. Unmittelbar oberhalb unseres Hotels liegt das Altit-Fort. Erbaut wurde es im 11. Jahrhundert, hoch über dem Hunza-River auf einem Felsvorsprung, der auf der Flussseite fast senkrecht 350m aufragt. An dieser Stelle fanden auch die Exekutionen statt, indem die zum Tode Verurteilten einfach in die Tiefe gestossen wurden. Generell ging man hier ziemlich innovativ und unzimperlich mit Gegnern um: so wurde infolge eines familieninternen Machtkampfs einer der beiden Prinzen durch seinen älteren Bruder einfach lebendig in eine Säule eingemauert. Als Winterwohnsitz des Herrschers ist das Fort relativ kompakt gebaut, tiefe Decken und dicke Mauern sollten die Wärme einigermassen konservieren. Auf der Bergseite grenzen die Häuser des Dorfes direkt an die Burg. Wir schlendern durch die engen Gassen und besichtigen das älteste Haus, genauso wie vor einigen Jahren auch Prinz Charles. Noblesse oblige!

Die Festung Baltit, die an der höchsten Stelle von Karimabad steht, ist wesentlich grösser als Altit. Dieses Fort wurde im 14. Jahrhungert erstellt und später mehrfach umgebaut. Es entstand unter dem Einfluss der ladakhisch-tibetischen Architektur und hat deshalb eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Potala-Palast in Lhasa auf, allerdings natürlich nicht bezüglich seiner Grösse.

Nach dem Mittagessen steht ausgiebiges Shopping auf dem Programm, viele Souvenirshops mit einem grossen und farbenprächtigen Angebot locken zum Geldausgeben. Nahtlos geht es über zu Kaffee und Kuchen, Nusstorte im Bündner Stil notabene. Ausserdem gehört auch Gerstensuppe zu den lokalen Gerichten, nur Capuns, Maluns und Pizokel haben wir bislang nicht gefunden. Sonst ist das Essen in Pakistan im Allgemeinen recht nahe an der nordindischen Küche, allerdings gibt es religionsbedingt eher mehr Fleisch. Das Linsengericht Dal, Currys mit und ohne Fleisch sowie diverse Fladenbrote werden uns in unzähligen schmackhaften Varianten mehr oder weniger täglich aufgetischt. Generell haben wir im Süden deutlich schärfere Speisen bekommen und Reis kam immer auf den Tisch. Hier im Norden wird deutlich milder gekocht, Suppen zu Beginn der Mahlzeit scheinen Standard zu sein. Reis ist nicht unbedingt alltäglich. Dafür ist hier bereits ein gewisser chinesischer Einfluss zu spüren, wenn gebratener Reis oder Nudeln aufgetischt werden. Früchte sind bislang erstaunlicherweise ziemliche Mangelware.

Dienstag, 3.10.2023: Nagar-Valley


Wir wechseln heute das (frühere) Königreich und fahren über die Brücke hinüber ins ehemals verfeindete Nagar-Tal. Zigeuner zelten am Ufer des Nagar-Fluss, sie verdienen ihren Lebensunterhalt durch Goldwaschen. Auch die Chinesen sind hier bei der Ausbeutung von Bodenschätzen, bislang betreiben sie aber nur eine Mine zum Marmorabbau. Gold-Konzessionen haben sie bislang noch nicht bekommen.

Es fällt beim Durchqueren der ersten Siedlung auf, dass hier religionsbedingt ein anderes Leben herrscht. Im Zentrum finden wir kaum Frauen. Diese sind zuhause oder verrichten die Feldarbeit, bei der sie unter anderem Mais, Weizen, Gerste, Kartoffeln, Kürbisse und vieles mehr anbauen. Im Dorfkern erholen sich die Männer, wovon ist nicht wirklich klar. Es wird viel Tee getrunken und viel diskutiert. Die Bewohner des Tals sind Schiiten, weshalb sie offenbar auch finanzielle Unterstützung durch den Iran bekommen. Auf dem Dorfplatz, auf dem wir einen Teestop einlegen, strahlt uns Hassan Nasrallah, der Führer der schiitischen Terrororganisation Hisbollah, von einer Plakatwand entgegen. Bezüglich Alkohol- und Drogenverbot und beim Einhalten der Gebetszeiten herrscht hier strikte Disziplin.

Zuhinterst im Nagar-Tal bietet sich ein toller Ausblick auf den Bualtar-Gletscher, er soll der sich am schnellsten bewegende Gletscher der Welt sein. Nach dem Mittagessen in einem schönen Obstgarten geht es zurück nach Karimibad, von wo aus wir nach etwas Zusatzshopping hinauf nach Duiker fahren, um hoch über dem Hunza-Tal die letzten Sonnenstrahlen des Tags einzufangen.

Mittwoch, 4.10.2023: Karimabad - Passu


Sonnenaufgang steht auf dem Programm, deswegen haben wir schliesslich so hoch oberhalb des Dorfs übernachtet. Aber auch in Pakistan hält sich das Wetter nicht immer an die Prognosen. Es regnet und die Berge sind wolkenverhangen, als wir kurz nach 5 Uhr noch etwas müde aus den Federn kriechen (mindestens der eine von uns beiden). So schlafen wir halt nochmals etwas weiter und prompt verschlafen wir uns. Nach einem Alarmstart ist alles wieder im Butter, sodass wir planmässig um 08:30 aufbrechen können.

Auf dem Karakorum Highway fahren wir Richtung Norden, nach wenigen Kilometern erreichen wir das Ende des türkisblauen Attabad-Sees. Dieser entstand Anfang 2010, als ein gewaltiger Felssturz den Abfluss des Hunza Rivers blockierte. Innert 4 Monaten entstand ein 21 km langer See, der neben 300 Häusern auch den Karakorum Highway überflutete. Die lebenswichtige Verkehrsader war unterbrochen, sodass ein Fährbetrieb eingerichtet werden musste, der allerdings im Winter auch nicht zur Verfügung stand. Gut 5 Jahre nach dem Felssturz hatten die Chinesen eine neue Strasse inklusive der "Pak China Friendship Tunnel No. 1 bis 4" gebaut.

Die Landschaft wird immer spektakulärer, die sich links und rechts auftürmenden Bergriesen sind schlicht überwältigend. Wir überqueren eine lange und wacklige Hängebrücke und machen dann einen Abstecher mit einem kleineren Allrad-Bus auf einem ziemlich burschikosen Karrenweg hinauf zum Ausgang eines kleinen Spaziergangs an den Rand des Passu-Gletschers, der trotz dem laufenden Rückgang immer noch sehr eindrücklich ist.

Wieder auf dem KKH geht es noch ein Stück weiter nach Norden. Zum Mittagessen gibt es Yak-Steaks resp. -Burger, zum Dessert besuchen wir die Schwester unseres Führers etwas ausserhalb des Dorfes Passu. Es ist natürlich sehr interessant, einen kleinen Einblick in das tägliche Leben der Einheimischen zu bekommen. Auf dem Weg zum heutigen Hotel geniessen wir in Gulmit zum Abschluss dieses tollen Tags ein schönes Konzert einheimischer Künstler, die die alten Folklore-Lieder der Region am Leben erhalten wollen.

Donnerstag, 5.10.2023: Attabad - Shigar


Noch vor dem Frühstück führt eine malaysische Reisegruppe ein unfreiwilliges Slapstick-Theater auf: in allen möglichen und unmöglichen Posen und Gruppenzusammenstellungen wird geföttelet, was das Zeug hält. Wer diese Kunstwerke zuhause wohl anschauen möchte? Wir verlassen das schöne Hotel am Attabad-Lake und fahren auf dem KKH Richtung Shigar, unserem neuen Ziel in Baltistan. Unterwegs zeigen sich Rakaposhi (7788 m.ü.M.) und Nangar Parbat (8126 m.ü.M.) in ihrer ganzen Pracht und völlig wolkenlos. So braucht es natürlich wieder den einen oder anderen Fotostopp, in dieser prächtigen Landschaft gibt es immer einen Grund anzuhalten. Für unseren Fahrer ist das natürlich eine Herausforderung. Auch wenn es in Pakistan üblich zu sein scheint, irgendwo aus irgendeinem Grund mitten auf der Strasse anzuhalten, muss er doch schauen, dass wir einigermassen sicher aussteigen können. Bei der Weiterfahrt ist er dann dafür besorgt, dass wir wieder zügig vorankommen. Zwischen herumspazierenden Ziegen, unaufmerksamen Passanten und durch unzählige Checkpoints hindurch zieht er gekonnt und mit stoischer Ruhe seine Slalomkurven.

Auch heute ist die Landschaft wieder überwältigend. Schneebedeckte Gipfel vor tiefblauem Himmel thronen über schroffen Schluchten, durch die mal ruhig, mal wild die Flüsse ihren Weg suchen. Die Verlockung ist gross, tausende Fotos zu schiessen. Die Mittagspause machen wir in einer eher rustikalen Wirtschaft mitten im Nirgendwo der Indus-Schlucht. Auf besonderen Wunsch erhalten wir sogar Teller, die wir mit der notwendigen Zuversicht keiner besonderen Hygienekontrolle unterziehen. Es ist eher ein Lokal, in dem man in der Schweiz fragen würde “hend Sie gnueg gha?” als “isch es guet gsi?”.

Auf der seit 2018 sehr gut ausgebauten Kaphlu Road kommen wir weiter gut voran, zwischendurch ermuntert durch Slogans am Strassenrand wie “paving the ways for better days” und ähnlichen poetischen Ergüssen. Was im Gegensatz zu anderen Ländern des Subkontinents auffällt ist die Sauberkeit neben den Strassen. Kaum einmal sehen wir Abfall herumliegen. Nur einmal verstaubt ein Traktor samt Anhänger upside down mitten auf der Strasse und wartet darauf, bis er vielleicht geborgen wird. Als wir in die Gegend von Skardu kommen, wird das Indus-Tal deutlich breiter, der Oberlauf des Indus hat hier viel Platz. Östlich von Skardu biegen wir nach Norden ins Shigar-Tal ab und rumpeln beim Eindunkeln über eine schmale Strasse zu unserem heutigen Etappenziel, einem tollen Hotel in einem alten Fort.

Freitag, 6.10.2023: Shigar - Khaplu


Das Shigar-Fort (in der Lokalsprache “das Fort auf dem Felsen”) wurde im 17. Jahrhundert erbaut und zwischen 1999 und 2004 unter der Leitung der Aga Khan Stiftung umgebaut. Seit dann wird es als Museum und Hotel genutzt. Interessant ist, dass 70% des Gewinns an das Dorf gehen, 20% an die Nachkommen des letzten Königs der Region und nur die restlichen 10% bei der das Hotel betreibenden Serena-Gruppe verbleiben.

Wir müssen leider weiter, aber wir kommen ja am Freitag nochmals für eine Nacht zurück. Unser Weg führt durch die “kalte Wüste” Sargaranga, wo gerade eine dreitägige Rally-Veranstaltung stattfindet. Wir verzichten dort auf einen Zwischenstopp. Die enorm hohe Präsenz von Armee, Polizei und Ambulanzen lässt auf eine ziemliche Massenveranstaltung schliessen, welcher wir lieber ausweichen. Entlang des Indus holpern wir Richtung Südosten. Der Fluss, der in der Nähe des Bergs Kailash im Tibet entspringt und via Kaschmir nach Baltistan fliesst, hat hier bereits eine beachtliche Grösse. Von einem Bergbach kann jedenfalls keine Rede mehr sein.

Im kleinen Kaff Gol machen wir einen Chai-Stopp, neugierig und freundlich beobachtet von den Einheimischen, wobei diese wie meist vor allem aus Männern bestehen. Nach einer interessanten Fahrt durch die wilde Landschaft kommen wir am frühen Nachmittag schliesslich in Khaplu (auch Khapalu ausgesprochen) an, wo wir nach dem Mittagessen für einmal einfach nichts tun.

Samstag, 7.10.2023: Khaplu – Shigar

Heute geht’s auf der gleichen Strecke zurück nach Shigar. Wir machen in Skardu einen Mittagshalt und schauen uns die Moschee von aussen an. In dieser konservativen Gegend ist in vielen Moscheen der Zutritt für Nicht-Muslims verboten. Wir verkraften es und fahren weiter nach Shigar. Ein ziemliches Verkehrschaos erwartet uns dort, denn es findet gerade ein Polo-Spiel statt. Dicht gedrängt stehen die Zuschauer um das Spielfeld und feuern die Mannschaften johlend und jubelnd an. Leute hat es wie Sand am Meer, es müssen Tausende sein. Man lässt uns durch ein Seitentor an den Rand des Spielfelds, wo wir das Ganze hautnah miterleben können. Allerdings müsste man hier blitzartig die Flucht ergreifen, wenn das Spiel auf unserer Seite vorbeigehen würde. Das ist nur einmal im Ansatz der Fall, sodass wir das Spektakel unbeschadet überleben. Dann wird das Spiel plötzlich beendet und die laute und ziemlich chaotische Pausenunterhaltung beginnt. Wir gehen die letzten Meter zu Fuss zum Hotel und lassen dort den Tag ausklingen.

Sonntag, 8.10.2023: Shigar – Lahore


Wir haben den ursprünglichen Reiseplan angepasst: anstatt über das Deosai-Plateau und anschliessend auf der gleichen Strasse wie auf dem Hinweg per Bus nach Islamabad zu fahren, nehmen wir das Flugzeug direkt nach Islamabad. Von dort aus fahren wir dann nach Lahore, um in den folgenden drei Tagen einen Abstecher nach Multan und Bahawalpur zu machen.

Im Gegensatz zur Regierungsairline PIA ("Please Inform Allah"), die es beim Flug von Sukkur nach Islamabad immerhin auf rund 3 Stunden Verspätung gebracht hat, hebt unsere A-320 der Blue Air pünktlich ab. Unterwegs haben wir wegen einer ziemlich dichten Wolkendecke leider kaum Sicht auf die vielen Bergriesen. Nach dem Mittagessen geht es mit einem neuen Busfahrer auf einer dreispurigen Autobahn zügig nach Süden. Ausser dass sich unser Driver ein paar Mal verfährt und auch sonst noch einiges Verbesserungspotenzial zu haben scheint, gibt es von der Fahrt nicht viel zu berichten. Ziemlicher dichter Smog begleitet uns fast auf dem ganzen Weg, da die Bauern überall ihre Felder abbrennen.

Rund eine Stunde nach dem Eindunkeln treffen wir schliesslich in Lahore ein. Anstelle des üblichen Nachtessens im Restaurant schlendern wir durch die Anarkali Food Street, wo wir uns mitten im Getümmel bei gut gewürztem Grillfleisch und Naan die Bäuche vollschlagen.

Montag, 9.10.2023: Lahore - Multan


Der Tag beginnt mit einer ziemlich monotonen Fahrt auf dem Motorway M3 nach Südwesten. Grosse Reis- und Mais-Felder dehnen sich links und rechts der Autobahn aus, auch Zuckerrohr wird angebaut, zwischendurch sehen wir ausserdem Baumwollfelder. Nördlich von Multan wachsen viele Orangen und Bananen. Selbst wenn Multan ab und zu auch als die “City of Dust” bezeichnet wird, ist der Smog doch deutlich geringer als gestern in der Region von Lahore. Durch das Verkehrsgewühl von Multan quälen wir uns langsam zum Hotel, allerdings macht der Fahrer einen eher hilfslosen Eindruck. Weil er sich gestern und heute auch sonst einiges geleistet hat, wird er ab morgen durch einen Kollegen abgelöst, der jetzt von Islamabad per Bus unterwegs nach Multan ist.

Das Mittagessen im Hotel gestaltet sich zur Schlacht am warmen Buffet, weil die Teilnehmer einer Tagung der FDO (was bekanntlich die Farmers Developement Organization ist) gerade auch Hunger haben. Wir erkämpfen uns erfolgreich das tägliche Mahl und sind dann gut gesättigt bereit für die Besichtigungen von heute Nachmittag. Das Warten auf die obligatorische Polizeieskorte gestaltet sich zu einem Geduldsspiel, entsprechend verkürzt sich die verfügbare Zeit für die geplanten Besichtigungen. Dafür werden wir dann elegant durch den Verkehr gelenkt, ein Motorrad vorne, eines hinten. Bei den Mausoleen werden wir überall auf dem Fast Track eingelassen. Zunächst besuchen wir das Grabmahl von Shah Shams Taez. Ein paar Autominuten entfernt liegen auf einem Hügel das achteckige Mausoleum von Rukn-i Alam und das viereckige Grab seines Grossvaters Baha'uddin Zakariya, des bedeutendsten Heiligen von Multan. Dieser Sufi hat im 13. Jahrhundert den schiitischen Suhrawardiyya-Orden in der Region eingeführt hat.

Wir unternehmen darauf noch einen Bummel durch den farbigen und quirligen Basar, bevor wir dann den Tag unter freiem Himmel bei angenehmen Temperaturen und einem feinen Nachtessen beschliessen.

Dienstag, 10.10.2023: Multan – Bahawalpur


Zu früher Stunde ist das Buffet noch nicht im Kriegszustand, sodass wir in aller Ruhe unsere Energie-Reserven für den Tag auffüllen können. Die Geleitpolizisten waren bereits um 06:30 bereit und haben unseren Führer Momin sicher 3-4 mal angerufen. So steht einer rundum sicheren Reise nichts mehr im Weg, das Spiel der Polizeistaffette kennen wir ja in der Zwischenzeit. Die polizeilichen Auflagen scheinen ziemlich eng zu sein: für Touristen sind offenbar nur drei Hotels in Multan zugelassen und Backpacker haben auf eigene Faust keine grosse Chance, ohne lokalen Guide hierher resp. überhaupt ins Industal zu kommen, postwendend würden sie wieder in den Bus nach Lahore oder Islamabad gesetzt.

Heute dominieren eindeutig die Baumwollfelder am Strassenrand, zwischendurch sehen wir auch immer wieder kleine Plantagen mit Mangobäumen. Leider ist die Mangosaison schon vorbei, diese dauert in Pakistan ungefähr von Mai bis Juli. Nach knapp zwei Stunden erreichen wir Uch Sharif und besuchen dort die nahe nebeneinander liegenden Grabmäler und Moscheen, insbesondere das Grab von Bibi Jawindi. Je nachdem, ob man die Monumente von vorn oder hinten anschaut, sind es entweder perfekte Prunkbauten oder abrasierte Ruinen. Wir bevorzugen die wunderschönen Vorderseiten. Vor dem Eingang des Komplexes hat sich eine Gruppe von Pilger versammelt, die mit einem bunten Bus hierhergekommen ist. Sie sitzen auf Vorplatz und essen die mitgebrachten Speisen. Die Einladung zur Teilnahme an ihrem Mal lehne ich aus verschiedenen Gründen höflich dankend ab.

Bereits beginnt es wärmer als warm zu werden, sodass die Weiterreise im klimatisierten Fahrzeug keine schlechte Option ist. In Ahmedpur ist der Markt am Strassenrand ausgesprochen bunt und vielfältig, die Auswahl an Früchten und vor allem Gemüsen ist enorm gross. Beim Pipistopp werden wir von zwei Schlangenbeschwörern unterhalten und dann geht es ab in die Wüste Cholistan. Dort kommen wir nach einer weiteren Stunde beim Fort Derawar an, einer grossen quadratischen Festung, die im 9. Jahrhundert von einem Rajputen-Fürsten aus der Gegend um Jaisalmer (heute Indien) und Bahawalpur erbaut wurde. So eindrücklich die Burg mit einem Umfang von 1500 m von aussen ist, so dringend ist im Inneren der Renovierungsbedarf. Es wird wohl noch Jahre dauern, bis das als Unesco-Welterbe vorgeschlagene Bauwerk gerettet sein wird.

Ziemlich einfach ist unser heutiges Mittagessen in einer lokalen Beiz am Strassenrand. Es schmeckt aber sehr gut und die Zuversicht ist gross, dass unsere Mägen die Herausforderung bestehen werden. Am späten Nachmittag kommen wir in Bahawalpur an. Der Palast Nur Mahal wartet im besten Licht auf uns und nach dem Absolvieren eines Selfie-Parcours im und vor dem Palast chillen wir auf der Terrasse des gegenüberliegenden Restaurants dem Sonnenuntergang entgegen. Mit der gewohnten Blaulicht-Unterstützung rasen wir später durch den Abendverkehr zum Nachtessen, wo wir unseren Guide mit einem kurzfristig organisierten Geburtstagskuchen überraschen. Er ist nahe an den Tränen und - wie in Pakistan offensichtlich üblich - verteilt er dann den Kuchen im ganzen Restaurant.

Mittwoch, 11.10.2023: Bahawalpur – Lahore


Heute steht eine relativ lange Fahrt nach Lahore auf dem Programm. Von dieser gibt es nicht viel zu berichten. Punkt 09:00 fahren wir von unserem ziemlich lausigen (aber dem einzigen in Bahawalpur für Touristen zugelassenen) Hotel ab und erreichen nach einem Mittagsstopp bei einer Raststätte auf dem Motorway gegen 15:30 die Stadtgrenze von Lahore. Von da weg geht es nur noch zähflüssig voran, insbesondere weil irgendwo eine pro-palästinensische Demonstration im Gang ist und der ganze Verkehr durch unmöglich enge Strassen umgeleitet wird. So dauert es nochmals eine volle Stunde, bis wir in unserem Hotel ankommen. Nach einem kurzen Boxenstopp im Hotelzimmer fahren wir durch den inzwischen etwas ruhiger gewordenen Verkehr zum Restaurant Haveli, von dessen Dach aus wir eine sensationelle Sicht auf die riesige Badshahi-Moschee haben.

Donnerstag, 12.10.2023: Lahore


Die heutige Stadttour bringt uns zuerst auf das Lahore-Fort, eine enorm grosse Burganlage, die in der Moghul-Zeit im 16. Jahrhundert erbaut und im Laufe der Jahre immer wieder abgeändert wurde. Der Komplex ist sehr eindrücklich, allerdings braucht es noch erhebliche Anstrengungen, um die notwendigen Restaurationsarbeiten abzuschliessen. Man bekommt den Eindruck, dass in dieser Beziehung in Pakistan ohne die Aga Khan-Stiftung gar nichts läuft. Besonders schön ist die Aussicht auf die Badshahi-Moschee, die im 17. Jahrhundert unter dem Moghul Aurangzeb erstellt wurde und die mindestens 60‘000 Leuten Platz bietet. Damit ist sie eine der grössten Moscheen der Welt. Gut liegen auf dem Boden auf der Hauptachse Bastteppiche, sodass in der Mittagshitze die nackten Füsse nicht sofort verbrutzelt werden (bekanntlich zieht man ja in einer Moschee die Schuhe aus).

Der Besuch im Lahore-Museum ist überraschend positiv. Auch wenn vieles etwas verstaubt ist, ist die grosse Sammlung doch ansprechend ausgestellt. Besonders eindrücklich ist die Bronzestatue des hungernden Buddha, der eigentlich nur noch aus Haut und Knochen besteht. Nach dem Mittagessen besichtigen wir den kleinen, aber sehr schön angelegten Garten Gulabi Bagh und die riesigen Shalimar-Gärten.

Dann fahren wir an den Grenzübergang Wagha, wo jeden Tag eine martialische Show anlässlich der Grenzschliessung zu Indien stattfindet. Beidseits der Grenze stehen Tribünen für die Zuschauer, auf der indischen Seite ist diese riesig, auf der pakistanischen Seite etwas bescheidener. Der Zuschaueraufmarsch ist entsprechend im indischen Teil viel grösser, aber beidseits herrscht chauvinistische Begeisterung. Der Krach aus den Lautsprechern ist ohrenbetäubend und die Show der mit lustigen Fächern als Kopfschmuck ausgerüsteten Soldaten ziemlich amüsant. Die beiden Länder sind zwar seit den Staatsgründungen bitter verfeindet und haben auch schon drei Kriege gegeneinander geführt. Deshalb ist es eher eigenartig, dass die Show-Elemente der Inder und der Pakistani total aufeinander abgestimmt sind. Die Ausführung ist etwas hölzern und insgesamt ist das Ganze ziemlich bizarr.

Freitag, 13.10.2023: Lahore

Die erste Station heute Morgen ist der Bahnhof von Lahore, der immerhin über 9 Passagier-Geleise verfügt. Die Frequenz der Züge kann zwar mit Zürich nicht ganz mithalten und ein Capricorn würde hier wohl wie ein Zug aus einer anderen Welt angesehen. Aber dafür ist das Gewühl umso farbiger und interessanter. Einer der grün-beigen Züge ist gerade eingetroffen und nun werden endlos scheinende Mengen an Koffern, Taschen und Kartonschachteln aus den Fenstern hinausgereicht, bis der Bahnsteig wie ein gewaltiges Warenlager aussieht. Träger - auch hier Kulis genannt - jonglieren dann auf ihren Köpfen zwei- bis dreistöckig die Gepäckstücke der Fahrgäste durch die Menschenmassen. Vor dem Bahnhof hoffen scharenweise die Fahrer von Taxis und Tuk Tuks auf ein Geschäft, alles unter den mehr oder weniger wachsamen Augen von enorm wichtig aussehenden Polizisten.

Anschliessend werfen wir uns in die verwinkelten Gassen der Walled City, der eigentlichen Altstadt. Hier hat sich offenbar schon manch ein Tourist verirrt. Kurz nach dem Delhi Gate zweigen wir zum Hamam, dem historischen Bad der Könige ab. Die Fotogalerie beim Eingang belegt, dass vor uns schon andere Berühmtheiten diese historische Stätte besucht haben (auch wenn wir von keinem dieser VIP‘s vorher jemals etwas gehört haben). Mitten in der Altstadt steht auch die Wazeer Khan Moschee mit einer prächtigen Eingangsfassade und filigranen, farbenprächtigen Intarsien. Noch ist es hier ganz ruhig, aber ein Bediensteter ist schon dabei, die langen Gebetsteppiche für das Freitagsgebet auszubreiten. Nach einem siedend heissen Chai finden wir auf Anhieb den Ausgang aus dem Labyrinth und fahren zum Mittagessen.

Die fast endlose Diskussion über das richtige Shopping-Center führt zu keinem befriedigenden Resultat, das einzig richtig erscheinende ist in der Zwischenzeit abgebrannt. So versuchen wir, unser nächstes Ziel, den Sufi-Schrein Data Darbar anzupeilen. Dieser ist das grösste Sufi-Heiligtum in ganz Südasien. Ob er auch der schönste ist, können wir leider nicht beurteilen. Denn die Fahrt dorthin wird mehrmals umgeleitet, bis wir schliesslich aufgeben und ins Hotel zu einer kleinen Siesta zurückfahren. Offensichtlich haben es die Prediger im Freitagsgebet geschafft, die Gläubigen so aufzuheizen, dass nun an mehreren Orten Demonstrationen für Palästina und die Hamas abgehalten werden. Für Touristen sind solche Ansammlungen nicht nur in Pakistan definitiv kein „place to be“.

So beschliessen wir den Tag und unsere fast dreiwöchige Reise mit einem stimmungsvollen Nachtessen in einem Dach-Restaurant etwas südlich der Altstadt.

Pakistan 2023: Fazit

Vor der Abreise wurden wir immer und immer wieder gefragt: nach Pakistan? Warum um Himmels Willen nach Pakistan? Die Antwort war jeweils: weil es uns interessiert, Unbekanntes selber zu erleben, ohne den gängigen Vorurteilen zu folgen.

Unsere Beurteilung nach der Reise ist ausgesprochen positiv. Der Sicherheit ist natürlich Beachtung zu schenken, wie das EDA rät. Aber das muss man auch in den USA (mit 600 – 700 Massenschiessereien pro Jahr) und dort gibt es eigentlich keine Warnungen. Wir haben uns nie unsicher gefühlt, weder im dichten Gedränge von Sufi-Schreinen oder in den engen Basars noch auf wenig befahrenen Überlandstrecken. Der uns gewährte Polizeischutz wäre wohl nicht notwendig gewesen, insbesondere weil wir ja weder in Belutschistan noch in den nordwestlichen Grenzgebieten unterwegs waren. Anschläge und Unruhen gibt es zwar immer wieder, deren Ziel sind dabei aber in aller Regel nicht ausländische Touristen, sondern Anhänger anderer muslimischer Glaubensrichtungen. Insbesondere Schiiten und Sunniten haben sich nicht besonders lieb.

Die lokale Bevölkerung war uns gegenüber sehr neugierig und extrem freundlich. In den konservativeren Gegend war zwar einige Zurückhaltung zu spüren. Aber dies kann nicht verwundern, wenn kaum westliche Touristen in dieses Land kommen. Insgesamt hat die Anzahl Selfies, die man mit uns gemacht hat, wohl sogar diejenige von Bangladesch geschlagen.

Die Landschaft ist enorm vielfältig. Im Süden ist das Gelände flach, trocken und strichweise öd, dem Indus entlang aber grün und fruchtbar mit riesigen Reis-, Mais-, Weizen- und Baumwollfeldern sowie vielen Bäumen und Gemüseplantagen. Im Norden wechseln sich schroffe Schluchten mit breiten Tälern ab und darüber thronen gewaltige Berggipfel. Neben 5 Achttausendern sind offensichtlich nochmals mehr als 100 Berge über 7000 m hoch. Die Gletscher sind zwar auch hier auf dem Rückzug, gewaltige Ausmasse haben sie aber immer noch. Sehenswürdigkeiten bietet Pakistan in Hülle und Fülle. Von den Überresten der alten Hochkultur im Indus-Tal bis über riesige Festungen aus der Moghul-Zeit bis zu farbenprächtigen Schreinen und Moscheen: langweilig wird es nie.

Die (Tourismus-) Infrastruktur ist wesentlich besser, als wir erwartet hatten. Das Land ist durch ein Netz von 4- bis 6-spurigen Motorways verbunden und selbst die Hauptachsen in Gilgit-Baltistan sind vernünftig ausgebaut. Die Hotels waren mit zwei Ausnahmen akzeptabel bis sehr gut, nur in einzelnen Unterkünften mussten wir um etwas Wärme im Zimmer und der Dusche kämpfen. Das Mobiltelefonie-Netz ist in Islamabad und südlich sehr gut, nur im Berggebiet dürftig, alle Hotels verfügten jedoch aber über akzeptable WLAN.

Das Essen hat uns im Allgemeinen gut geschmeckt, die Küche unterscheidet sich nicht sehr stark von derjenigen Nordindiens. Nur der Einsatz von Öl könnte für unseren Geschmack deutlich reduziert werden. Fleischmässig ist die Auswahl eher eingeschränkt, diese konzentriert sich hauptsächlich auf Huhn und Lamm.

Unser Gesamteindruck: Pakistan ist ein wunderschönes Land und unter Berücksichtigung aller Aspekte unbedingt eine Reise wert.