Bangladesh 2022

 

Sonntag, 2.10.2022: Ankunft in Dhaka


Unser Umsteigflughafen Doha ist voll im Fussballfieber: keine Fläche, wo uns nicht irgendein Hinweis auf die nahenden Weltmeisterschaften anlacht. Abgesehen davon geht es ziemlich chaotisch zu und her: nach dem Aussteigen gibt es im Ankunfts- und Transferbereich mindestens 3-4 grössere Passagierströme, die sich alle kreuzen. Wer links ist muss nach hinten, die von rechts nach links, … So vergehen die knapp 2 Stunden Umsteigezeit mit bester Unterhaltung!

Nach einer ruhigen Nacht landen wir bei trüben, regnerischem Wetter kurz nach 09:00 in Dhaka. Visa on Arrival tönt noch gut, schliesslich brauchen wir aber fast eineinhalb Stunden, bis wir alle bürokratischen Hürden genommen haben, obwohl es relativ wenig Leute an diesem Schalter hat. Eigentlich spielt diese Verzögerung aber keine grossen Rolle, denn unser Wagen ist irgendwo im Verkehrsgewühl stecken geblieben und so warten wir nochmals mehr als eine Stunde, bis unser Guide (der gemäss eigenen Angaben 7km zu Fuss zum Flughafen gekommen ist) schweissgebadet bei uns eintrifft. Schliesslich treffen wir mit einem kurzfristig organisierten Ersatzauto nach unspektakulären Fahrt in unserem Hotel ein, die Willkommensdusche haben wir uns redlich verdient.

Am frühen Nachmittag gibt es zuerst etwas zu essen, danach unternehmen wir eine erste Fusstour in unserem Aussenquartier von Dhaka. Es ist laut und für unsere Begriffe ungeordnet, das ganz grosse Chaos herrscht aber (noch?) nicht. Der grössere Teil der rund 22 Mio. Einwohner dürfte woanders wohnen. Velorikschas gibt es allerdings zu tausenden, deren Fahrer schlängeln sich mit schlafwandlerischer Sicherheit mitten durch das Gewühl von Autos, Bussen, Fussgängern und anderen Rikschas hindurch. Überall am Strassenrand werden lokal produzierte Kleider zu Spottpreisen verkauft, Gucci und Konsorten sind in allen Farb- und Logovarianten anzutreffen. Die interessantesten Exemplare sind Sportkleider, auf denen gleichzeitig die Logos von Adidas und Nike prangen. Wir halten unsere Kaufinstinkte noch zurück, müde werden wir trotzdem langsam. So bietet es sich an, eine der Rikschas zu angeln und uns durch den Abendverkehr gepflegt zurück ins Hotel zurückchauffieren zu lassen.

Montag, 3.10.2022: Im Gewühl von Dakha

Wir konnten etwas Schlaf nachholen und sind dann bereit für die Erkundung des Zentrums. Dhaka ist eine der Megacities der Welt, 22 Mio. Einwohner leben auf gut 300km2, da kommt man sich durchaus näher! Wer also nach der distanzierten Corona-Zeit wieder mal persönliche Kontakte geniessen will, ist hier genau richtig. Genauso hautnah erlebt man die Stadt im Strassenverkehr, zwischendurch bewegt sich unser Kleinbus mit bis zu 15 km/h, meistens aber stehen wir still und kommunizieren nonverbal mit den Rikschafahrern links und rechts. Unsere Bengali-Kenntnisse sind eher limitiert, andererseits sprechen die Leute auf der Strasse kaum Englisch. Das hätte bislang auch nicht viel genützt, denn auch zu den besten Zeiten vor Corona kamen kaum mehr als ein paar tausend Touristen pro Jahr ins Land. Im Moment dürften wir mehr oder weniger die einzigen Fremdlinge sind, die nicht für Geschäftsaktivitäten ins Land gekommen sind.

Während unserer Fahrt (7km / 1.5 Stunden) beginnt es fast unvermittelt wie aus Kübeln zu regnen. Nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei und das Schirmbeschaffungsprojekt wird von Priorität 1 auf Prio 2 zurückgestuft. Dafür sind die Nebenstrassen ziemlich matschig geworden. Hosen hochrädeln und hinein in den Kampf! Wir lassen uns im Strom der Menge durch den Kawran Bazar treiben, ein Markt auf dem vor allem die Kleinhändler ihren Bedarf eindecken. Wenn man von der Strasse absieht, auf die der ganze (vor allem organische) Abfall hinausgeschmissen wird, ist der Markt ziemlich sauber und geordnet. Es hat von allem viel: Früchte, Gemüse, Menschen, Gerüche, Farben, Licht, Schatten usw., schlicht eine Sensation der Eindrücke. So vergeht die Zeit wie im Flug und kurz vor dem nächsten Regen erreichen wir ein Restaurant im zweiten Stock mit hervorragender Aussicht auf das Marktgetümmel. Kernelement dieser und aller anderen Mahlzeiten ist Reis, weil es hier immer Reis gibt: am Morgen, am Mittag und am Abend.

Danach folgt gleich wieder ein Festival der Sinne. Wir besuchen einen Hindu-Tempel am Rande der Altstadt, wo das 5-tägige Fest zu Ehren der Göttin Purga gefeiert wird. Nochmals bunter als im Rest der Stadt ist es hier, denn alle Besucher haben sich für dieses hohe Fest in ihre besten Kleider gestürzt. Und natürlich ist es laut, fröhlich und überdies ausgesprochen friedlich. Wir können uns kaum mehr aus der Tempelanlage lösen, alle wollen unbedingt ein Selfie mit uns machen: allein, mit den Kindern, den Eltern, der Frau und dann nochmals alle zusammen. Hintendran stehen schon die nächsten für den Fototermin an. Mit List und Tücke entfliehen wir schliesslich dem nicht abbrechen wollenden Andrang und fahren ein Stück weiter bis zur Curzon Hall, benannt nach dem früheren englischen Vizekönig Lord Curzon. Heute ist in dieser grossen Gebäudekomplex Teil des Universitätscampus. Die technischen Fakultäten sind hier untergebracht.

Wir fahren nach dieser kurzen Ruhepause nochmals ein Stück weiter Richtung Buriganga-Fluss. Durch enge Altstadt-Gassen kämpfen wir uns durch ein Hindu-Quartier, wo es genauso so farbig und laut ist wie im Tempel. Immer wieder kommen wir unter mitten in der Gasse aufgebauten Podesten durch, wo der Göttin Purga Opfergaben gebracht werden. Genauso wichtig wie Kerzen, Blumen, Reis und Bananen ist die Musik, die wohl die meisten europäischen Ohren als Lärm bezeichnen würden.

Schliesslich kommen wir am Ende der Gasse zum Flusshafen Sadarghat, dem offensichtlich grössten Flusshafen der Welt. Es wir auch behauptet, dass er auch der dreckigste sei, aber so ganz nachvollziehen können wir das aus unserer Beobachtung nicht unbedingt. Fraglos ist ein ausgesprochen lebhafter Ort, der neben den Docks für die Fähren in alle Richtungen auch Anlegestelle für die Ruderboote ist, die als Taxiboote zur anderen Flussseite dienen. Wir beziehen unsere saubere, aber auch ausgesprochen enge Kabine im zweiten Stock unseres Schiffes, das uns in der folgenden Nacht nach Barisal bringen wird. Die Nacht ist warm, stickig und laut. Die lokalen Mitpassagiere brauchen offensichtlich ausgesprochen wenig Schlaf. Irgendwann nach Mitternacht wird es dann etwas ruhiger, sodass auch unsere Äuglein langsam zufallen. Draussen regnet es in Strömen, aber nachts ist das schon ok.

Dienstag, 4.10. – Donnerstag, 6.10.2022: In den Mangroven der Sundarbans


Nach erstaunlich erholsamem Schlaf kommen wir in den ersten Morgenstunden des Dienstags in Barisal an. Bis vor kurzem wurden auf dieser Strecke die legendären Raddampfer aus der Zeit der East India Company eingesetzt, die sogenannten Rockets. Sie erhielten ihren Namen deshalb, weil sie damals die schnellsten Binnenschiffe waren. Die Boote kamen aber definitiv ins Alter und mussten ausgemustert werden, 200 Einsatzjahre sind allerdings ein stattliche Leistung. Unser Bus wartet bereits auf uns und bringt uns nach einem Frühstückshalt in das rund 120km entfernte Monglar. Beim Massala Chai-Stop irgendwo in einem kleinen Dorf werden wir von einer ganzen Gruppe einheimischer Männer umringt, die offensichtlich seit Menschengedenken keine weissen Fremden mehr gesehen haben. Die Rikschas in dieser Gegend haben alle einen kleinen Elektromotor. Entsprechend relaxed sitzen die Fahrer auf ihren Sätteln, einen Fuss locker auf dem Rahmen oder auf der Lenkstange.

Nach knapp 3 Stunden kommen wir in Mongla an, dem zweitgrössten Hafen von Bangladesh. Besonders malerisch ist die Umgebung nicht, das Landschaftsbild ist dominiert von Öl- und Gasfirmen und unzähligen Hafenkränen. Mit einem kleinen Knatterboot setzen wir über den Fluss, wo unser Privatboot auf uns wartet. Danach legen wir ab nach Süden und machen nach einer Stunde auf dem Poshur River einen kurzen Halt, um einen Ranger an Bord zu nehmen. Er soll uns im Verlauf des Trips vor hungrigen Tigern und anderem Getier schützen. Gemütlich fahren wir den ganzen Nachmittag auf dem Selagang-Fluss Richtung Sundarbans, dem grössten Mangrovenwald der Welt. Dort treffen wir erst nach Einbrechen der Dunkelheit ein. Es ist heiss und feucht, sodass das Einschlafen ein kleinere Herausforderung darstellt.

Insgesamt ist dieses Unesco-Weltnaturerbe rund 10'000 km2 gross, etwa 60% davon gehören zu Bangladesh, der kleinere Teil zu Indien. Das Gebiet ist ein einziges Wirrwarr von Wäldern und Wasser, vom grossen Fluss bis zum kleinen Wasserlauf. Permanente Siedlungen sind innerhalb des Nationalparks keine erlaubt, lediglich ganz im Süden leben einige Fischer in halb stationären Behausungen. Neben dem Fischfang leben sie auch vom Sammeln des begehrten Honigs der wilden Bienen. Die Angst vor Tigerattacken ist allgegenwärtig, vor allem bei den Leute, die sich im Innern der Wälder bewegen. In den Sundarbans lebt die weltweit grösste Population von Bengalischen Tigern, die sich hauptsächlich von Chital-Hirschen und Wildschweinen ernähren. Je nach Jahreszeit gibt es eine stattliche Anzahl Krokodile, ausserdem Warane und eine Vielzahl von Schlangen, insbesondere die hochgiftige Königskobra.

Wir verbringen insgesamt 3 Tage in dieser tropisch-grünen Welt, fernab von jeglicher Zivilisation. Der einzige Kompromiss ist unser Boot, das zwar keinen Luxus bietet, aber alle notwendigen Annehmlichkeiten, auf die wir verwöhnten Touristen halt doch ungern verzichten. Wir kurven mit dem kleineren Beiboot entlang der kleinen Flüsse durch den Mangrovendschungel, machen einen schweisstreibenden Abstecher zum Strand an der Bucht von Bengalen und unternehmen auch mal einen kleinen Spaziergang rund um eine ziemlich marode Rangerstation. An Tieren sehen wir vorallem diverse Hirsche, aber auch einige Affen, Wildschweine und diverse Vögel. Ein stattlicher Waran bietet eine spektakuläre Show: zunächst hängt er faul auf einem Ast, findet dann aber doch, dass wir etwas gar nahe gekommen sind. Kurzerhand springt er rund 3m hinunter ins Wasser, taucht mit grossem Gespritze in den Fluss ein und schwimmt danach gemütlich ans andere Ufer.

Auf der Rückfahrt werden wir von Flussdelfinen begleitet, die derart unorganisiert mal hier und mal da auftauchen, dass an ein Bild schon gar nicht zu denken ist. Unterwegs besuchen wir zum Gaudi der Einwohner noch ein Fischerdorf, wo uns auf dem Rundgang Heerscharen von Kindern begleiten, die alle einen Sugus (und noch einen und noch einen …) ergattern wollen. Im Laufe des Abends sind wir dann wieder zurück in der Nähe von Mongla, wo wir unsere letzte Nacht an Bord verbringen.

Freitag, 7.10.2022: Zurück in die Zivilisation


Am frühen Morgen kitzelt uns die Sonne im Hafen von Monglar in der Nase: Zeit zum Aufstehen und Packen. Nach dem Frühstück auf dem Oberdeck werden unsere Koffer ins Beiboot verladen und wir fahren ein kurzes Stück bis ans Ufer. Entlang von weiten grünen Reisfeldern und unzähligen grossen Fischzuchtbecken führt unser Weg nach Bagarhat, das in früheren Zeiten als Kalifatabat bekannt war. Dieses Weltkulturerbe umfasst eine grössere Zahl von Moscheen aus der Zeit um 1550 und das Grabmahl des berühmten Sufi Khan Jahan Ali, der den Ort gegründet hat. Wir besichtigen die Moschee der 60 Kuppeln, die eigentlich 60 Säulen und 74 Kuppeln hat. Das dazugehörige Museum ist eher “na ja”, aber wir sind sowieso nicht die enthusiastischsten Museumsfreaks. Mit einem Easy-Bike (andernorts Tuk Tuk o.ä. genannt) hottern wir durch die engen Wege des nahen kleinen Dorfs, um eine zweite, etwas abgelegenere Moschee zu besuchen. Beim Grabmahl des Sufi ist ziemlich Betrieb: die Stände entlang des Aufgangs verkaufen jeglichen Ramsch und locken mit für Einheimische appetitlichen Speiseangeboten. Das Grab selber ist für uns Fremdlinge wenig spektakulär, die einheimischen Gläubigen beten davor aber mit grosser Inbrunst. Frauen beten allerdings von draussen durch die Gitter, selbst wenn etwas weiter unten ein grosses Schild mit der Inschrift “Gender Equality” prangt.

Das Mittagessen ersetzen wir nach der Inspektion eines eher streng riechenden Restaurants durch ein paar Bananen und Chips. Den Eingeweihten ist dieses Verpflegungskonzept als “Pringle, Pringle, Banana” (mit Betonung auf dem ersten a) bekannt. Es ist derart heiss, dass man die Männer versteht, die jetzt keine Lust zum Arbeiten in Feld und Hof haben, sondern in den offenen Teashops über die wesentlichen Themen ihrer Welt diskutieren. Dort sieht man dafür keinerlei Frauen, die müssen ja schliesslich zuhause arbeiten und zu den Kindern schauen! Im Verlaufe des Nachmittags kommen wir – nach ein paar navigatorischen Fehlversuchen – mitten im Nirgendwo zu einer kleinen Personenfähre, die uns nach dem obligaten Chai über den Bhairab-Fluss bringt. Wir bummeln durch das kleine Dorf zu einem malerischen, leicht verfallenen Shiva-Tempel, der im spätnachmittäglichen Licht die Erhabenheit früherer Tage erahnen lässt.

Nach der Rückfahrt mit der Fähre und einer knapp einstündigen Busfahrt erreichen wir beim Eindunkeln schliesslich unser heutiges Etappenziel Jessore, wo das Hotel zwar nicht ganz 5 Sterne hat, dafür aber reichlich Platz bietet, um gleichzeitig mehr als einen Koffer zu öffnen und sich daneben erst noch bewegen zu können.

Samstag, 8.10.2022: Die letzten Otterfischer


Unser heutiges Ziel ist das kleine Dorf Gobra, rund 40km westlich von Jessore. Auf der recht schmalen Strasse herrscht wie überall das südasiatische Strassenverkehrsrecht: der Stärkere hat Vortritt. Im Allgemeinen geht das gut, aber immer wieder wird es eng, wenn z.B. zwei sich überholende Rikschas ihrerseits von einem LKW überholt werden und dieser noch einem entgegenkommenden Bus ausweichen muss. So leuchtet es ein, dass die Strasse für eine Verbreiterung vorbereitet wird und dazu die Bäume am Strassenrand nach und nach den Sägen und Äxten zum Opfer fällt. Alles in Handarbeit, versteht sich. In der Mitte unseres Weg machen wir einen Chai-Stop und besichtigen noch kurz eine der vielen Ziegeleien, die allerdings nach der Monsunpause erst in einem Monat den Betrieb wieder aufnehmen wird.

Der Reis von den unzähligen Feldern wird bis zu 3 Mal pro Jahr geerntet, es gibt auch noch weitere Nutzungsvarianten, bei denen zwischendurch entweder Fischzucht oder Gemüseanbau betrieben wird. Das Wasser in den Feldern wird ausserdem genutzt, um die Fasern aus den Pflanzenstängeln für die Juteherstellung herauszulösen. Entlang der Strassen hängen danach vielerorts die Faser an Holzgestellen zum Trocknen. Die Weiterverarbeitung erfolgt dann in den grossen Fabriken der Gegend.

In Gobra lassen wir den Bus auf der Hauptstrasse zurück und gehen zu Fuss auf den schmalen Wegen durch das Fischerdorf. Die Bewohner drängen sich förmlich für Fotos auf, dafür sind die Selfie-Attacken etwas weniger häufig als in grösseren Ortschaften. Schon aus der Distanz hört man das schrille Quieken der Fischotter. Sie werden von den Fischern dazu eingesetzt, um die Fische in die vom Boot aus heruntergelassenen Netze zu treiben. Damit sie nicht ausbüxen, sind sie an langen Schnüren in Zweier- oder Dreiergruppen angebunden. Wir begleiten die Fischer auf dem Fluss, allerdings ist dies nur eine Demonstration, denn gefischt wird eigentlich ausschliesslich während der Nacht. Dann gehen zwar die Fische ins Netz, touristisch hat diese Zeit aber wenig Potenzial. So kommt es denn auch, dass unsere Fischer mehr oder weniger nichts im Netz finden, eindrücklich ist das Erlebnis aber so oder so. Die grosse Show kommt ganz zuletzt, als die Otter für ihre Arbeit mit (früher gefangenen) Fischen belohnt werden. Es ist anzunehmen, dass über kurz oder lang diese Art der Fischerei produktiveren Methoden zum Opfer fallen wird. Über lange Zeit war sie vor allem in Asien weit verbreitet, heute gibt es sie nur noch an ganz wenigen Orten in Bangladesh.

Auf der anderen Seite des Bootes zieht zur Abrundung der Show ein Ganges-Delphin ruhig seine Runden, zwischendurch taucht er zum Luftholen für 2-3 Sekunden auf. Bis der Fotograf reagieren kann, ist er meist schon wieder abgetaucht. Angesichts der grossen Hitze und Luftfeuchtigkeit wäre eigentlich auch für uns ein Bad im Fluss willkommen, wir lassen es aber bleiben und schwitzen tapfer vor uns hin.

Sonntag, 9.10.2022: Im Flug von Jessore nach Chittagong


Um 6 Uhr ist die Welt in Jessore noch in Ordnung. Kein Verkehr, kein Gehupe, offensichtlich steht man hier nicht besonders früh auf. Das Frühstück in unserem „Nobel“-Hotel findet nur theoretisch statt, für ein paar Westler steht man offenbar nicht extra früher auf. So fahren wir zeitig zum Flugplatz und mangels Verkehr treffen wir dort auch schon bald ein. Die Atmosphäre ist eher familiär und unkompliziert. Pünktlich kommen wir in Dhaka an, wo wir drei Stunden Zeit haben, um uns bei Espresso und Kuchen auf den nächsten Flug vorzubereiten.

Um 13:30 treffen wir in Chittagong ein, wo uns unser neuer Fahrer erwartet. Wir quälen uns durch das Gewühl der zweitgrössten Stadt. Unser Eindruck ist, dass es hier nochmals lauter und chaotischer zu und her geht als in Dhaka. Überall sehen wir jüngere Leute mit grünen Islam-Fahnen, die auf den Brücken von grossen und kleinen Lastwagen mit viel Musik und Lärm unterwegs zu einem zentralen religiösen Fest sind, um den Geburtstag des Propheten Mohammed zu feiern.

Nach einem späten Mittagessen besichtigen wir kurz das Hauptquartier der ehemaligen Eisenbahngesellschaft der East India Company, danach den aktuellen Bahnhof, der sich ebenso in einem historischen Gebäude der EIC befindet. Das Highlight des Tages ist der Besuch im Fischerhafen. Die Boote liegen in Reih und Glied im Hafen, die Fischer trinken Tee oder flicken ihre Netze. Was man eben so tut, wenn man nicht draussen auf dem Meer an der Arbeit ist. Zum Abschluss organisieren wir spontan noch eine Sunset-Hafentour mit einem Knatterboot. Im glitschigen, dreckigen Ufersand ist es eine ziemliche Herausforderung, überhaupt an Bord zu kommen. Wir schaffen es – abgesehen von dreckigen Schuhen – unbeschadet und drehen in der graubraunen Brühe eine interessante Runde, bevor wir neben dem Abwasserrohr ziemlich problemlos wieder an Land gehen.

Montag, 10.10.2022: Die Abwrackwerften von Chittagong


Wir fahren auf noch regennassen Strassen etwa 10km nach Norden, der Weg ist gesäumt von diversen Stahlwerken und Giessereien, die den Schrott aus den Abwrackwerften verwerten. Bei einem kleinen Hafen chartern wir ein Boot, mit dem wir kurz darauf in See stechen. Entlang der Küste reiht sich ein rostiger Ozeanriese an den andern. Hier ist einer der drei Orte, an denen die ausrangierten Schiffe abgewrackt werden. Die anderen beiden liegen in Indien und Pakistan. Diese Arbeit ist extrem gefährlich, die Arbeiter sind nur minimal geschützt und gesichert, sodass es immer wieder zu Todesfällen und schweren Verletzungen kommt. In sicherer Distanz fahren wir vor den Schiffen vorbei, trotzdem finden das die Bosse der Abwrackfirma sichtlich nicht so toll. Nach kurzer Zeit prescht ein Boot auf uns zu und wir werden nach wilden Diskussionen unmissverständlich eingeladen, uns doch das Büro des Chefs anzuschauen.

So finden wir uns bald in einem klimatisierten Container wieder, umringt von einer guten Handvoll wichtig und/oder grimmig dreinblickender Herren. Nach kurzer Zeit kommt auch noch ein genauso wichtiger Polizeioffizier dazu und es wird wild umhertelefoniert. Unsere Zukunft ist ungewiss, denn draussen fahren bereits zwei Mannschaftswagen der Polizei vor, aus denen gegen 20 mit Gewehren bewaffnete Polizisten aussteigen. Dann hat unser Guide genug von diesem Theater und er ruft seinen Bruder an, der General in der Armee ist. Damit wendet sich alles ganz schnell zum Besseren. Wir werden lediglich aufgefordert, alle unsere Fotos zu löschen, was wir natürlich mit treuherzigem Blick geloben. So kann der Werftbesitzer vor seinen Leuten das Gesicht waren und alle sind wir wieder Freunde. Bevor wir gehen, werden sogar noch Früchte zu unserer Stärkung aufgefahren, liebe Gäste lässt man ungern hungrig weiterreisen. Per Boot zurückzufahren wäre dann aber doch zuviel des Guten, sodass wir uns zu Fuss auf den Rückweg an die Hauptstrasse machen. In diskreter Distanz folgen uns die beiden Polizeifahrzeuge. Beim Warten auf unseren Bus schliessen wir dann auch noch eine völkerverbindende Freundschaft mit den Polizisten, die alle noch ein Selfie mit uns wollen.

Die Wahrheit hinter dieser Story ist bitter. Hat ein Schiff das Ende seiner Lebenszeit erreicht, verkauft es die Reederei an eine Schrotthandelsfirma. Damit hat sie die Verantwortung für eine umwelt- und arbeitergerechte Entsorgung ohne weitere Verpflichtung delegiert. Die Schrotthändler wiederum fahren die Schiffe unter der Flagge eines Staats, der sich den Bedingungen des internationalen Seerechts nicht unterstellt, in eine der Abwrackwerften Südasiens, wo die Schiffe ohne jegliche Umwelt- und Arbeitsschutzbestimmungen verwertet werden. Arbeitskräfte finden sich genug, da die Arbeitslosigkeit generell hoch und die Löhne nicht schlecht sind. Der Preis ist aber ebenfalls hoch, allein in Chittagong sterben jährlich ein bis zwei Dutzend Leute, die Zahl der Verletzten dürfte noch viel höher liegen. Deshalb ist auch die Nervosität des Typen von heute Morgen erklärbar. Seine Hauptangst war, dass wir Journalisten seien. Das Geschäft lief auch schon besser, der hohe Dollar drückt auf die Margen und das Schmieren von Polizei, Behörden und Politikern ist nicht gerade billig.

Wieder in uneingeschränkter Freiheit machen wir uns am Nachmittag auf den Weg nach Bandarban in den Chittagong Hill Tracts. Nach einer schönen Fahrt über grösstenteils rumplige und kurvenreiche Strassen kommen wir beim Einnachten zu einem Kontrollposten der Armee. Da die lokalen Stämme immer wieder mal Separationsgelüste haben und es auch schon zu Scharmützeln mit der Armee gekommen ist, ist für den Besuch des Gebiets eine spezielle Bewilligung erforderlich. In einer leicht gespenstischen Atmosphäre müssen wir unsere Einträge in einem grossen schwarzen Buch unterschreiben und zur Dokumentation wird auch noch ein Gruppenfoto von uns gemacht (diesmal kein Selfie). Gegen 19:00 erreichen wir dann schliesslich unsere Lodge, die leicht südlich des Orts Bandarban liegt.

Dienstag, 11.10.2022: Bei den Hilltribes von Bandarban


Steil und rutschig ist der Weg zum Fluss hinunter, den wir heute früh unter die Füsse nehmen. Wir kommen auf einem schmalen Trampelpfad durch ein grünes Dickicht, das immer undurchdringlicher wird. Die Stege aus Bambusstämmen sind mehr morsch als ganz und wegen dem kürzlichen Regen ist der Boden ausgesprochen feucht-lehmig. Nach einer guten halben Stunde sehen wir ein, dass es siebenmal intelligenter ist umzukehren, als noch einen Unfall zu riskieren. Aber auch so ist der Rest der Wanderung eine Herausforderung, der Schweiss läuft uns in Bächen herunter. Zurück in der Lodge brauchen wir erst mal eine Dusche und dann machen wir per Jeep einen kurzen Ausflug den Berg hinauf, wo wir nach einem Halt bei einem dritt- bis viertklassigen Wasserfälleli ein Dorf eines Bergstammes besuchen. Für etwa 25 Familien gibt es in diesem rein christlichen Dorf insgesamt 4 Kirchen. Leute treffen wir relativ wenige an, sie sind entweder in der Kirche, auf dem Markt oder auf den Feldern. Den Kinder, die nicht in der Schule sind, schenken wir ein paar Spielzeugautos. Die strahlenden Gesichter allein wären eine Reise wert.

Nach dem Mittagessen trocknen wir weiterhin den Schweiss ab und fahren dann gegen Abend noch in den kleinen Distrikthauptort Bandarban. Eine kleine Knatterboot-Fahrt auf dem Sangu River und ein Abstecher zu einem Buddhistischen Kloster beschliessen den abwechslungsreichen Tag.

Mittwoch, 12.10.2022: Von Bandarban nach Cox’s Bazar


Mittwoch ist Markttag, das ist mindestens in Bandarban so. Heute ist in den Strassen wesentlich mehr los als gestern Abend. Wir schlängeln uns zwischen den Produktauslagen und den allgegenwärtigen, ständig klingelnden Rickschas durch und halten dabei ebenso fleissig wie erfolglos Ausschau nach Souvenirs. Eigentlich kann man ja auch gar nichts anderes erwarten, wenn es weit und breit keine Touristen gibt (ausser uns). Nach einem kleinen Tee an der Strassenecke flüchten wir wieder in die Kühle unseres Busses und machen uns auf den 120km langen Weg nach Cox’s Bazar. Bei der militärischen Strassenkontrolle, gesponsert von einer grossen Bangladeshi Firma (!), müssen wir wieder raus aus dem kühlen Bus und unterschreiben im grossen schwarzen Buch, dass wir heil aus dem rebellendurchseuchten Gebiet ausgereist sind.

Unterwegs machen wir an einer “Autobahn”-Raststätte Bangladeshi-Stile eine Mittagspause. Dort gäbe es sogar Chicken Burger, wir bleiben aber beim bewährten Menu bestehend aus Reis, Gemüse, Dhal und etwas Rinds-Curry. Etwa eine Stunde später passieren wir einen Viehmarkt, wo es rundherum blökt, meckert und muht. Das Geschäft schein gut zu laufen, überall sind nur zufriedene Gesichter zu sehen. Den Kauf eines Wasserbüffels müssen wir aus Platz- und Gewichtsgründen aber leider aufschieben. Im Laufe des Nachmittage kommen wir in Cox’s Bazar an, wo wir zur Anregung des Appetits noch einen kleinen Spaziergang am blitzsauberen Strand machen und das millionste Sonnenuntergangsbild in den Fotoapparat versorgen.

Donnerstag, 13.10.2022: Moheskhali Island


Per Auto-Rikscha (oder Three Wheeler oder CNG oder Easy Bike oder …) zwängen wir uns durch die Strassen von Cox’s Bazar Richtung Norden. Am Fischerhafen werden die Netze geschickt und in rasantem Tempo geflickt, nebenan wird laut und eifrig um die fangfrischen Fische gefeilscht. Ein grosser Holzboot reiht sich ans andere. Wenn die alle draussen auf dem Meer sind, dann ist das Fisch-Sein wohl nicht mehr lustig. Wir feilschen um den Fahrtpreis für ein Schnellboot, das auf die Insel Moheskhali übersetzen soll. Viele der Verkaufsstände am Bootspier bieten Meethi Paan an, eine Mischung einer Vielzahl von süssen bis ultrasüssen Dingen, die in ein Betelblatt eingewickelt werden. Das Zeug ist viel zu süss, aber wenn man es nicht ausprobiert, kann man es auch nicht beurteilen. Wir organisieren wieder eine Auto-Rikscha und fahren zuerst zum Hindu-Schrein Adhinath, wo Shiva als Lord Adhinath verwehrt. Hier findet jährlich ein grosses dreizehntägiges Fest statt, das tausende von Hindus anzieht. Jetzt ist es eher ruhig, dafür hält der Priester für uns eine kleine Zeremonie ab, wofür er natürlich einen kleinen Obolus erhält. Wir machen einen kleinen Abstecher auf den “Aussichtspunkt” des Tempelhügels, wo es ausser einer eher verlassenen buddhistischen Stupa nicht viel, vor alle keine Aussicht zu sehen gibt. Dann fahren wir noch bei einem weiteren buddhistischen Tempel vorbei, wo wir wie immer von ein paar Dutzend Einheimischen umringt werden. Mittlerweile könnten wir unsere Reise locker finanzieren, wenn wir für all die Selfies der letzten zwei Wochen etwas verlangt hätten. Zurück geht es wieder per Speedboat und nach dem Mittagessen machen wir ein paar Stunden Siesta im Hotel mit Sonnenuntergangs-Aussicht.

Was hier in Cox’s Bazar auffällt, ist die Präsenz von jeder Hilfsorganisation, die einem in den Sinn kommt (und noch etwa hundert weiterer). Im Süden der Stadt leben fast eine Million aus Myanmar geflüchtete Rohingyas in riesigen Flüchtlingslagern. Der grösste Teil von ihnen kam 2017 nach den Gewaltausbrüchen im burmesischen Staat Rakhine hierhier. Ihr Schicksal ist tragisch: nach Myanmar können sie nicht zurück, weil sie dort als Muslime verfolgt werden und man ihnen nicht einmal die Staatsbürgerschaft zuerkennt, obwohl sie dort seit Generationen gelebt haben. Das Leben in den Flüchtlingslagern ist auf Dauer auch keine Option. Verlassen dürfen sie diese Lager nämlich nicht und haben somit keine Chance, irgendeiner Arbeit nachzugehen. Angesichts dieser Tragik mutet es schon ein wenig eigenartig an, dass die internationalen Helfer mit den besten und grössten Autos unterwegs sind, jeder natürlich mit eigenem Fahrer. Das UNHCR-Hauptquartier ist ein riesiger Komplex an bester Lage in Cox’s Bazar. Die Frage sei gestattet, ob es hier vor allem Hilfe oder vor allem Bürokratie braucht. Vermutlich ist nur schon die Koordination der vielen verschiedenen Hilfswerke ein Ding der Unmöglichkeit. Wie die Barbesuche und gemütlichen Nachtessen in einem der besten Hotels am Platz finanziert werden, wäre eine andere Frage.

Freitag, 14.10. – Sonntag, 16.10.2022: Von Cox’s Bazar nach Paro


Gegen Mittag fliegen wir von Cox’s Bazar zurück nach Dhaka, wo uns unser Guide Manzur bei sich zuhause zum Mittagessen einlädt. Seine Familie freut sich sichtlich über den seltenen Besuch aus dem Westen. Für uns ist dies eine einzigartige Gelegenheit, einen kleinen Einblick in den Privatbereich einer lokalen Familie zu bekommen. Gegen Ende getrauen sich auch seine Eltern noch, uns zu begrüssen und natürlich endet der Besuch mit einem Gruppenfoto. Vor dem Nachtessen geniessen wir ein kurzfristig organisiertes Sitar-Konzert von Hans Wettstein. Zusammen mit dem lokalen Tabla-Spieler Zakir Hosen verzaubert er uns mit seinen indischen Melodien, eine willkommene Abwechslung zur Hektik der Strassen.

Am Samstag Morgen schlendern wir durch den Slum Tejgaong. Die Leute leben hier zwar unter sehr einfachen Bedingungen, im Allgemeinen ist diese Stadt in der Stadt (mit rund 500‘000 Bewohnern!) aber recht sauber und geordnet. Alle scheinen sich über unsere Anwesenheit zu freuen, beim Tee-Stop ist die enge Gasse sofort mit vielen Neugierigen verstopft.

Dann fahren wir frühzeitig zum Flugplatz, um keine Schwierigkeiten mit dem Verkehr zu bekommen. Der Sultan von Brunei wird für einen dreitägigen Besuch erwartet, die Konsequenzen auf die Verkehrslage lassen sich nicht einschätzen. Alles läuft aber reibungslos und nach einem langen Zwischenhalt in Kolkata kommen wir gegen Mitternacht in Guwahati an. Von dort fliegen wir am Sonntag Nachmittag nach Paro und freuen uns auf unser nächstes Abenteuer in Bhutan.