Montag, 10.10.2022: Die Abwrackwerften von Chittagong

Wir fahren auf noch regennassen Strassen etwa 10km nach Norden, der Weg ist gesäumt von diversen Stahlwerken und Giessereien, die den Schrott aus den Abwrackwerften verwerten. Bei einem kleinen Hafen chartern wir ein Boot, mit dem wir kurz darauf in See stechen. Entlang der Küste reiht sich ein rostiger Ozeanriese an den andern. Hier ist einer der drei Orte, an denen die ausrangierten Schiffe abgewrackt werden. Die anderen beiden liegen in Indien und Pakistan. Diese Arbeit ist extrem gefährlich, die Arbeiter sind nur minimal geschützt und gesichert, sodass es immer wieder zu Todesfällen und schweren Verletzungen kommt. In sicherer Distanz fahren wir vor den Schiffen vorbei, trotzdem finden das die Bosse der Abwrackfirma sichtlich nicht so toll. Nach kurzer Zeit prescht ein Boot auf uns zu und wir werden nach wilden Diskussionen unmissverständlich eingeladen, uns doch das Büro des Chefs anzuschauen.

So finden wir uns bald in einem klimatisierten Container wieder, umringt von einer guten Handvoll wichtig und/oder grimmig dreinblickender Herren. Nach kurzer Zeit kommt auch noch ein genauso wichtiger Polizeioffizier dazu und es wird wild umhertelefoniert. Unsere Zukunft ist ungewiss, denn draussen fahren bereits zwei Mannschaftswagen der Polizei vor, aus denen gegen 20 mit Gewehren bewaffnete Polizisten aussteigen. Dann hat unser Guide genug von diesem Theater und er ruft seinen Bruder an, der General in der Armee ist. Damit wendet sich alles ganz schnell zum Besseren. Wir werden lediglich aufgefordert, alle unsere Fotos zu löschen, was wir natürlich mit treuherzigem Blick geloben. So kann der Werftbesitzer vor seinen Leuten das Gesicht wahren und alle sind wir wieder Freunde. Bevor wir gehen, werden sogar noch Früchte zu unserer Stärkung aufgefahren, liebe Gäste lässt man ungern hungrig weiterreisen. Per Boot zurückzufahren wäre dann aber doch zuviel des Guten, sodass wir uns zu Fuss auf den Rückweg an die Hauptstrasse machen. In diskreter Distanz folgen uns die beiden Polizeifahrzeuge. Beim Warten auf unseren Bus schliessen wir dann auch noch eine völkerverbindende Freundschaft mit den Polizisten, die alle noch ein Selfie mit uns wollen.

Die Wahrheit hinter dieser Story ist bitter. Hat ein Schiff das Ende seiner Lebenszeit erreicht, verkauft es die Reederei an eine Schrotthandelsfirma. Damit hat sie die Verantwortung für eine umwelt- und arbeitergerechte Entsorgung ohne weitere Verpflichtung delegiert. Die Schrotthändler wiederum fahren die Schiffe unter der Flagge eines Staats, der sich den Bedingungen des internationalen Seerechts nicht unterstellt, in eine der Abwrackwerften Südasiens, wo die Schiffe ohne jegliche Umwelt- und Arbeitsschutzbestimmungen verwertet werden. Arbeitskräfte finden sich genug, da die Arbeitslosigkeit generell hoch und die Löhne nicht schlecht sind. Der Preis ist aber ebenfalls hoch, allein in Chittagong sterben jährlich ein bis zwei Dutzend Leute, die Zahl der Verletzten dürfte noch viel höher liegen. Deshalb ist auch die Nervosität des Typen von heute Morgen erklärbar. Seine Hauptangst war, dass wir Journalisten seien. Das Geschäft lief auch schon besser, der hohe Dollar drückt auf die Margen und das Schmieren von Polizei, Behörden und Politikern ist nicht gerade billig.

Wieder in uneingeschränkter Freiheit machen wir uns am Nachmittag auf den Weg nach Bandarban in den Chittagong Hill Tracts. Nach einer schönen Fahrt über grösstenteils rumplige und kurvenreiche Strassen kommen wir beim Einnachten zu einem Kontrollposten der Armee. Da die lokalen Stämme immer wieder mal Separationsgelüste haben und es auch schon zu Scharmützeln mit der Armee gekommen ist, ist für den Besuch des Gebiets eine spezielle Bewilligung erforderlich. In einer leicht gespenstischen Atmosphäre müssen wir unsere Einträge in einem grossen schwarzen Buch unterschreiben und zur Dokumentation wird auch noch ein Gruppenfoto von uns gemacht (diesmal kein Selfie). Gegen 19:00 erreichen wir dann schliesslich unsere Lodge, die leicht südlich des Orts Bandarban liegt.

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